Sir Peter Ustinov Stiftung: Magazin

Zeit für Sir Peter. Zum 100. Geburtstag unseres Stifters.

12. April 2021

Das Jahr 2021 ist ein ganz besonderes Jahr für die Peter Ustinov Stiftung. Am 16. April wäre Sir Peter Ustinov 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass führt er auch die Reihe der Jubilare im Feuilleton der ersten ZEIT-Ausgabe 2021 an. Anbei die schöne Hommage an Sir Peter.

 

Peter Ustinov: Der gute Bär

 

Von Peter Kuemmel

 

31. Dezember 2020, 20:49 Uhr DIE ZEIT Nr. 1/2021

 

Sir Peter Ustinov hat gegen den kleinlichen Zorn seinen Witz gesetzt: Als Weltbürger und Komiker. Er wäre in der Lage gewesen, Europa im Alleingang zusammenzuhalten.

 

Am 16. April 2021 feiern wir den 100. Geburtstag eines Mannes, der das brüchige europäische Ideen- und Staatengebilde durch seine Person retten könnte, wenn er denn noch lebte. Er sprach unzählige Sprachen, hatte russische, französische, deutsche, schweizerische, italienische und äthiopische Wurzeln. Er war ein Weltmann, fast zwangsläufig also: Komiker.

 

Peter Ustinov war das einzige Kind einer russischen Französin und eines deutschen Russen. Er wuchs in London auf, wo sein Vater, Jona von Ustinov, der im Ersten Weltkrieg Flieger der deutschen Armee gewesen war, nun als Agent des britischen Geheimdienstes arbeitete. Weil er oft allein war, dachte Peter sich unsichtbare Gefährten aus und erlebte, dass man sich Gesellschaft verschaffen kann, indem man in fremden Stimmen spricht. Später war er imstande, ganze Sinfonieorchester zu dirigieren, die allein aus ihm selbst bestanden.

 

Er erkannte, dass der schönste Weg zur Freiheit die fremde Sprache ist. Faszinierend war schon die Vielzahl der Sprachen! Ustinov wollte sie alle verstehen. Für ihn waren sie Spiele, Kostüme, Möglichkeiten der Selbsterweiterung.

 

Seine Soloabende boten Mentalitätsessenzen, beruhend auf ansatzloser Verwandlung. Der Sohn des Jona von Ustinov war vom Naturell her mindestens Doppelagent – mitten im Satz konnte er Sprache und Heimatland zurücklassen und als ein ganz anderer wieder auftauchen: als Dünkelbrite, aufbrausender Russe oder deutscher Sturkopf.

 

Er war eine barocke, seinen Begabungen in alle Richtungen nachjagende Jahrhundertfigur – von der Queen zum Ritter geschlagener Schauspieler, Regisseur, Dramatiker, zweifacher Oscar-Gewinner, Romanautor, Universitätsdirektor, Komiker, Diplomat, Wohltäter, Lebensretter.

 

Im England zwischen den Kriegen war er ein Eliteschüler, aber ein armer, noch dazu deutschstämmiger – er erlebte jenen Standesdünkel und jene Arroganz, die, ins Szenische gewendet, zum Antrieb seiner Komik wurden. Das Maß an Aggression, mit dem er aus Gemeinschaften ausgestoßen worden war, gab er seinen Parodien mit: So entstand Rückstoßkomik. Das Agentenkind spähte selbst Menschen aus, nämlich jene, die hinter Rang, Status, Reichtum, Verachtung sich verschanzten. Society, von Peter Ustinov dargestellt, war ein albernes System der hochmütigen Sichherablasser und der hechelnden Aufsteiger.

 

Er selbst wurde vom Außenseiter rasch zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt. Zwei Oscars (für seine Rolle als Sklavenhändler in Stanley Kubricks Spartacus, 1960, und für die eines tapsigen Ganoven in Jules Dassins Topkapi, 1964) brachten ihm Weltruhm, zuvor schon war seine Darstellung des Kaisers Nero (in Quo Vadis,1951) unvergesslich geraten. Aber der berühmte Mann vergaß nie, was er mal gewesen war. Er zeigte selbst gegenüber Gesellschaften, die nur zusammengekommen waren, um ihn zu feiern, das Misstrauen eines Mannes, der damit rechnet, jeden Moment ausgestoßen zu werden. Er blinzelte argwöhnisch in die Runde und war erst dann entspannt, wenn er spielen – und in anderen Figuren verschwinden konnte. Wobei er eigentlich gar nicht in den anderen, die er darstellte, aufging: Er fraß sie eher spaßhaft wie ein guter Bär und nahm ihre Eigenheiten an, die Bewegungen des Beutetiers bewahrend, das er verschlungen hatte. Er fraß sich voll mit fremdem Leben. Und verschaffte sich Zugang zu allen Gesellschaftsbereichen: indem er sie spielte. Er erfasste über die Menschen hinaus auch die Tiere, die er mit Ehrfurcht darstellte, und die Dinge (Türscharniere, Automotoren, Musikinstrumente), die er nicht nur nachahmte, nein: Es schien, als versetze er sich in sie hinein. Er wollte alles verstehen, aus allem sprechen, was ihn umgab.

 

Er gründete eine Stiftung, die benachteiligten Kindern den Zugang zu Bildung und Wohlstand erleichtert. Er war für Unicef als Botschafter in den entlegensten Weltgegenden. Er nahm jedes Wesen, das er darstellte, in Schutz gegen das Vorurteil.

 

1961 verfilmte er Herman Melvilles Roman Billy Budd, er führte Regie und spielte die Rolle eines englischen Kriegsschiffskapitäns namens Vere. Dieser Vere lässt den besten und gütigsten Mann auf seinem Schiff hinrichten, weil es das Gesetz so verlangt. Billy Buddist ein meisterhafter Film und hat einen unvergesslichen Schluss: Die Schiffsbesatzung lässt die Erhängung Billy Budds entsetzt geschehen, dann aber schlägt die Lähmung um in Hass auf die Vorgesetzten – es droht Meuterei. Doch nun peitscht von einem unbemerkten französischen Schiff ein Kanonenschuss herüber. Sodass die Aggression an Bord sich anders entlädt: gegen den herannahenden Feind. Selten wurde ein Kippmoment so schlüssig inszeniert. Ustinov erteilt uns in Billy Budd diese Lehre: Krieg brauchen wir, um den Hass in den eigenen Reihen zu kontrollieren. Woraus folgt: Wer Krieg verhindern will, muss mit dem Allerkleinsten, dem Zorn auf den Nächsten, beginnen. Ustinov hat gegen den Zorn sein ganzes Leben gesetzt. Im Jahr 2004 starb er. Man hat solchen Witz seitdem nicht erlebt.